Rebecca Michaelis, Anne Fäser, 2010

6. Juni 2010

Rebecca Michaelis schafft abstrakt konstruierte Malereien aus Farbe, Form und Linie. Kreise, Dreiecke, Ellipsen, Quadrate oder Rauten sind mit Hilfe von Schablonen, Klebestreifen und Zirkeln auf Leinwand oder Papier gebracht und bedecken in verschiedenen Modulationen die Oberfläche. Durch die geometrische Bildsprache drängen sich zukunftsverheißende Formeln der Moderne in Erinnerung und erzählen von der Auseinandersetzung der Künstlerin mit der Geschichte der Abstraktion zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Doch das Versprechen einer allgemeingültigen Sprache ist trügerisch und lässt sich nicht so einfach auf Michaelis Arbeiten übertragen. Die im Fortschreiten der Moderne immer stärkere Verflächigung des Bildraumes im Sinne transzendenter Optikalität¹, wie es Clement Greenbergs Modernismus-Deutung nahe legt, konterkariert die Künstlerin mit formalen bildkompositorischen Elementen der Illusion und Materialität sowie gestischer Intuition.
Rebecca Michaelis setzt in einem Prinzip des all-overs Ornamente, Raster, Muster nebeneinander und übereinander. Die scheinbar rational fassbare Struktur der Patterns wird mit frei aus dem Malprozess entstehenden Farbverwischungen konfrontiert. Durch Überschneidungen, Übermalungen sowie Abkratzen oder Abwaschen entsteht im Malprozess eine dichte Textur aus sich überlagernden Flächen und Zwischengebilden, welche die Eigengesetzlichkeit der abstrakten Muster durchbrechen und ihre Flächigkeit in irrationaler Weise stören. Auch der Einsatz der Farbe in Korrespondenz mit Linie und Fläche bringt die Diskontinuitäten der Muster hervor, indem die Regelmäßigkeit der Felder nicht in ihrer Farbigkeit wiederholt und somit die raumbildenden Möglichkeiten der Farben ausgelotet werden. Es entstehen Durchblicke, Öffnungen, Absperrungen und Beschränkungen, die keiner vordergründigen Logik folgen und durch abwechselnd lasierenden oder pastosen, matten oder glänzenden, schattierenden oder flachen Farbauftrag Materialität gewinnen. Farbe und Linie werden gegeneinander ausgespielt und erzeugen visuelle Ambiguitäten zwischen Flächigkeit und räumlicher Suggestion. Die Interaktion mit Farbe und das Verweben von verschiedenen Strukturen entstehen dabei in einem nicht kalkulierbaren Prozess und bleiben auch in der Bildrezeption nur schwer nachvollziehbar. Schicht für Schicht dringt der Betrachtende in einer zeitlichen Entschleunigung des Blicks immer tiefer in die Maloberfläche ein und sieht sich einem rational nicht fassbaren Bildraum gegenüber. In der malerischen Komplexität lösen sich alle Eindeutigkeiten der Strukturen auf und entziehen sich dem konkreten Benennen. Die haptischen Qualitäten von Rebecca Michaelis Arbeiten machen sie zu „sinnlich erfahrbaren Gesamtheiten konstruierter Malerei“². Diese Brüche führen zu einer Destabilisierung der Subjektposition und schaffen Verbindungen zu den Spannungen in der heutigen Zeit, zu Brüchen in der Gesellschaft.

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1. Im Idealfall entworfen als entkörperlichte, zeitlich-räumliche Koordinaten transzendierende Wahrnehmung.
2. Rebecca Michaelis in einem Selbststatement über ihre Arbeiten.

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