Familiar Patterns oder Die Oberflächlichkeit von Scheinlösungen, Marcus Becker, 2008
6. Juni 2008
Verläuft sich im langen Schatten Clement Greenbergs der heroische Kampf der abstrakten Malerei um die Unterscheidung zwischen hoher Kunst und dekorativem Tapetenmuster noch immer oft genug im „leidige[n] Ritual des ödipalen Konflikts mit den Gottvätern der Malerei“ (Jan Verwoert), so öffnet sich die Selbstreflexivität der non-figurativen Kunst in den Bildern Rebecca Michaelis zu einer bezwingend unverkrampften Analyse der nicht-gegenständlichen Konditionierungen unserer Weltwahrnehmung. Die Künstlerin fügt sich damit in eine kürzlich von Verwoert aufgezeigte antiödipale Genealogie abstrakter Malerinnen, die von Mary Heilmann bis zu Tomma Abts reicht.
Obwohl die Quellen der Pattern in Michaelis Bildern tatsächlich im gesamten Spektrum von islamischen Fayence-Fliesen über spätgotische Gewölbe bis hin zum westlichen Gebrauchsdesign der 70er Jahre zu suchen sind, assoziieren sie sich vor allem mit den allgegenwärtigen Mustern einer Nachkriegsmoderne und den in ihnen manifestierten optimistischen Zukunftsverheißungen. In der Verführung zu einem solcherart gerichteten Wiedererkennen verraten sich die Pattern als ornamentale Lieux de mémoire, die die visuelle Faktur kultureller Identität mit individualisierten sentimentalen Erinnerungen des Betrachters verbinden. Michaelis wildert in den Ambiguitäten einer Moderne, die sich ebenso der Propaganda der Muster bediente wie sie sich in einer Spielart negativer Theologie über das Ornament definierte, das Adolf Loos vor genau einhundert Jahren als Verbrechen dekretiert hatte und das vor allem in jüngerer Zeit wieder verstärkt in den Blick der Bildwissenschaft gerät. Durfte die Neo-Geo-Malerei eines Peter Halley in den 1980er Jahren die geometrische Konstruktion noch als präzises Instrument der Beschreibung urbaner Systeme nehmen, so erweist sich die urbane Vertrautheit, die aus den Pattern der jüngeren Künstlerin spricht, als non-figurative Parallele zur ikonographischen Trümmersuche Rauchs.
Michaelis’ Organisation der Bildfläche hält eine genau austarierte Balance zwischen Konstruktion und Geste, der rationalen Unnachgiebigkeit des Pattern und den der kalkulierenden Verfügungsgewalt der Künstlerin entzogenen Spuren des Farbauftrags. Beim visuellen Zusammenklang von maschinell erzeugten und frei aus dem Malprozeß entwickelten Bildstrukturen bleiben die Spuren der Arbeit – Umrißlinien der Schablonen, Ansatzpunkte der Zirkel, Linien der Pinsel- oder Spachtelführung – als Signaturen der Gemachtheit erhalten und verweisen unmittelbar auf die Materialität des Bildes und den Vorgang seines Entstehens. Wie auf einem wohlinformierten Raubzug durch die Hard-edge-Ästhetik übergeht Michaelis ihre Bilder in ungezählten Arbeitsschritten, transformiert entstandene Konfigurationen durch Abwaschen, Abkratzen, Abschleifen, konterkariert sie mit gegenläufigen Strukturen und kombiniert die Resultate verschiedener Bearbeitungsstufen.
Die so entstandene meist extrem dichte Textur der Bilder (Googelplex; Destinat, beide 2007) zwingt den Betrachter zu einer prozessualen Perzeption, in der sich der Schichtenaufbau des Farbauftrags erst nach und nach zu erkennen gibt und das Auge versucht, die Malschichten Schritt für Schritt wieder abzutragen. In der Hermeneutik solcher Rekonstruktionsversuche früherer Zustände eröffnet sich dem Blick eine zeitlich determinierte Raumtiefe der Bilder, die ihre Betrachtung zur archäologischen Aufgabe macht. Präsentiert sich Lybia Hill (2006) zunächst als von einer großen durch Kreissegmente kleeblattförmig definierten schwarzen Fläche dominiert, so erschließt sich erst in dem Maße, wie das Auge sich an die Dunkelheit gewöhnt, der Reichtum an farblichen Valeurs, geometrischen Formen und amorphen Fakturen, der unter dieser Oberfläche wie begraben zu liegen scheint. Bei diesem Durch-Sehen der Struktur als archäologischem Prozeß setzt die minutiöse malerische Detailfülle den Perzipienten in Bewegung, verführt ihn zum immer näheren Herantreten an das Bild, bis das Auge zur Hand wird, um die haptischen Qualitäten einzelner Partien auszukosten. Kann der Blick im Falle der Papierarbeiten hier jedoch weiterhin die gesamte Bildfläche erfassen, so verliert sich die Gesamtkomposition bei der immer stärkeren Fokussierung der großen Formate (Hailsham, 2007, 255 x 235 cm). In der Entschleunigung und sukzessiven Fokussierung des Blicks wird damit die Frage der Formate auch zur Frage nach der visuellen Erreichbarkeit von Bildelementen, wenn die Künstlerin komplex durchgearbeitete Partien in großer Höhe dem analysierenden Zugriff des Auges entzieht.
Die dadurch erzielte Verunsicherung verstärkt sich durch die sich langsam einstellende Erkenntnis, daß es sich beim Ausmessen und Ausspannen des Formats durch rational prästabilierte Pattern um konstruktive Scheinlösungen handelt. Die Prinzipien, nach denen die Muster von den Bildrändern begrenzt oder angeschnitten werden, bleiben ungewiß (Cheehaw, 2006; MG 3501; MG 3476, letztere beide 2008). Ihre Eigengesetzlichkeit ist durch willkürliche geometrische „Fehler“ und die Diskontinuitäten der Korrespondenz von Farben und Linien in Frage gestellt: der bug als Konstituente des Systems. Werden bereits die bildbestimmenden farblichen Akzente in den roten Kreisschwüngen der Gouache MG 3493 (2008) nicht exakt durch den Disegno definiert, so wirken die Konstruktionsfehler und die Fehlschlüsse eines scheinbar komfortablen Malens nach Zahlen in der relativen Kargheit von Hugos Eigentum, der Wandarbeit aus demselben Jahr, wie markiert. Tarabas (2007) konfrontiert den Betrachter sogar mit dem Furor einer trügerischen Didaxe. Während der obere Bildrand wie in einer Leseanleitung farblich zurückgenommen das Konstruktionsprinzip des Pattern offenzulegen scheint, suggeriert der monochrom kobaltblaue Bereich am unteren Rand ein Umreißen der Mustergrenzen als bestätigendes Abschließen der Komposition.
Sich auf diese Scheinlösungen einzulassen ist jedoch genauso gefährlich wie das Vertrauen auf die assoziative Suggestionskraft der Michaelis’schen Bildtitel, die meist den Lektüren der Künstlerin entnommen sind. Selbst im Falle einer Identifizierung der Quelle erweisen sie sich als Signifikanten von boshafter Arbitrarität, mit denen sich die Bilder ihrer Versprachlichung widersetzen. Das Moment des natürlich Bezeichnenden verbleibt in der Biographie der Malerin und entzieht sich so auratisch dem rezeptionsästhetischen Prozeß.
Das anscheinend so leicht gegebene und in Retrowellen ironisch beschworene moderne Glücksversprechen der (Design-)Muster löst sich in der verweigerten farblichen und geometrischen Rapportbildung der Bilder Rebecca Michaelis nicht ein. Als Versprechen einer vollständigen rationalen Welterschließung scheitert es wie d’Alemberts hierarchischer Stammbaum des Wissens im Discours Préliminaire der Encyclopédie. Wie dort darf sich die Organisation von Wissen in Googelplex, Mladen oder Tarabas nur auf vorübergehende und lokale Ordnungssysteme einlassen, ökonomisch und pragmatisch.
Und so kann sich vielleicht am Ende die archäologische Rekonstruktion der Bildgenese, das analytische Eindringen des Auges in den Wunderblock hinter der organisierten Bildoberfläche als ebenso trügerisch wie illegitim erweisen. Cheehaw (2006) erscheint auf den ersten Blick wie ein durchbrochenes Gitter mit Durchblicken auf einen einheitlichen grauen Hintergrund von horizontal streifiger Textur: ein Palimpsest, das durch die malerische Homologie von Partialflächen generiert und durch andere Partien des Bildes, die dieselben Forderungen des Pattern erfüllen, zur Fälschung gestempelt wird.
Das Bild bleibt in der Fläche. Auf diesem Theater der faciality ereignet sich das Schauspiel der reinen Zweidimensionalität, in dem Michaelis mit Flächen experimentiert, deren matter oder glänzender Auftrag, mechanische oder gestische Textur, Absorptions- oder Reflexionspotential, reine oder gebrochene Tonstufen die raumbildende Kraft der Farben austesten.
Rebecca Michaelis oberflächlich-manipulative Bilder sind ein sinnlicher Eklat von Form und Farbe in familiar patterns, dessen Schönheit auf Kosten unserer Weltvergewisserung geht.