Gewaschene Geometrie: Rebecca Michaelis undogmatische Farbfeldmalerei, Oliver Koerner von Gustorf
23. Januar 2014
In ihren ornamentalen Bildern und Wandmalereien schlummern ebenso das Vermächtnis der Moderne wie das Alltagsdekor des 21. Jahrhunderts. Jetzt ist das abstrakte Werk der „Macht Kunst“-Gewinnerin Rebecca Michaelis in der Deutsche Bank KunstHalle zu entdecken.
Bereits als Jugendliche war Rebecca Michaelis ein Fan der russischen Avantgarde. Mit ihrer Mutter fuhr sie in den 1980ern von Potsdam nach Ost-Berlin, um Ausstellungen mit Kasimir Malewitsch oder Alexander Rodtschenko zu sehen. Ihre Mutter war von Konstruktivismus und Suprematismus nicht sonderlich angetan. Doch Michaelis war von den abstrakten Arbeiten zu tiefst beeindruckt. Erst vor kurzem fand sie in einem Umzugskarton Notizen, die ihre Eindrücke von damals minutiös festhalten. Heute ist sie selbst abstrakte Künstlerin und ihren Sohn hat sie Kasimir genannt. Zwischen den frühen Begegnungen mit Form, Farbe, Geometrie und ihrem aktuellen Werk liegen Jahrzehnte. Michaelis arbeitete als Krankenschwester, reiste durch Indien, Nepal und Südostasien, studierte in Wales und Berlin Kunst, hatte Stipendien in New York.
Es scheint, als würden all diese Einflüsse und Erfahrungen in ihre Bilder, Wandarbeiten und Skulpturen einfließen, die jetzt in einer Ausstellung im Studio der Deutsche Bank KunstHalle vorgestellt werden: Die Erinnerungen aus der Kindheit, das modernistische DDR-Design der 1970er Jahre, mit dem sie aufwuchs, der Rhythmus der Metropolen. Oder die leuchtenden Pigmenttöne und Ornamente der Mandalas, die sie in Nepal zum ersten Mal sah. Und da ist auch dieses Wissen um die Abstraktion – die Vorstellung einer reinen, gegenstandslosen Malerei, die lediglich von Form und Farbe getragen ist.
Wenn Michaelis, die in Berlin zunächst bei Bernd Koberling und dann bei Frank Badur studierte, über ihre Abkehr von der Gestik und die Hinwendung zur reinen Farbmalerei erzählt, klingt das leidenschaftlich. „Am Hunter College in New York, wo ich studierte, wird die Farbfeldmalerei extrem hochgehalten. Ich hatte das Glück einen Kurs des Malers Sanford Wurmfeld mitzumachen, der sich seit den 1960ern mit Farbphänomenologie und Farbtheorie beschäftigt. Das ist eine große Tradition an der Schule. Für mich war das eine enorme Weiterführung, weil natürlich auch Koberling ein absoluter Spezialist in Sachen Farbe ist. Der sieht, wenn irgendwo auf dem Bild ein kleiner Punkt ultramarin sein müsste, um das ganze Gemälde stimmig zu machen. Und das lernt man bei ihm, er vermittelt es eher mystisch, intuitiv. Auch die Farbfeldmalerei sucht nach dem Transzendenten und ‘Sublimen’, allerdings gibt es dabei auch eine ganz starke theoretische, fast wissenschaftliche Ebene.“
Michaelis erzählt, wie sie Bauhauskünstlerin Anni Albers, Barnett Newman und Brice Marden entdeckte. Sie schwärmt von Isa Genzken und Tomma Abts. Dabei spürt man, wie stark ihre eigene Arbeit im Kanon der geometrischen Abstraktion und der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts verankert ist. Auf den ersten Blick erinnern ihre Zeichnungs- und Gemäldeserien an Stoffe oder Musterproben, auf denen dieser Kanon in immer wieder neuen Kompositionen und Nuancen durchgespielt wird. Als „Familiar Patterns“ bezeichnete der Berliner Kunsthistoriker Marcus Becker die dekorativen Ornamente, die Michaelis‘ Gemälde und Farbräume prägen. Tatsächlich vermitteln sie das Gefühl, als hätte man sie irgendwo schon gesehen: Auf einer Vase in einem Retro-Designladen in Mitte, einem Buch über islamische Kunst oder auf einem Kleid von Marimekko. Erst beim genauen Hinsehen stößt man auf die Spuren und Schichten, die die Denkbewegungen dieser Malerei vermitteln. Unter der vermeintlich fertiggestellten Oberfläche offenbaren sich die Arbeits- und Bildfindungsprozesse, die Umrisslinien von Schablonen, Ansatzpunkte von Zirkeln, abgewaschene oder abgeschliffene Farbschichten.
Ebenso wie Michaelis Farben und Materialeigenschaften kontrastreich gegeneinander ausspielt, tut sie dies auch mit den Arbeitsprozessen. Dem genau Abgezirkelten, Kalkulierten, stehen Zufall und Intuition gegenüber: Während sie mit Schablonen und geometrischen Grundformen wie Kreis, Rechteck, Dreieck oder Ellipse arbeitet, folgen die häufig rasterförmigen Bildkonstruktionen nur scheinbar festen Regeln. Das Muster bricht oder weist Lücken auf, die Anschlüsse stimmen nicht. Zugleich gehört zu den vielen Arbeitsschritten auch immer wieder das Aus- oder Abwaschen der Linien und Formen, die zerlaufen oder verblassen, Schlieren, Tropfen und unberechenbare Farbverläufe bilden. So entstehen aus symmetrischen, rasterartigen Strukturen organische, warme Untergründe.
„Ich gehe mit meinen Arbeiten bei mir im Atelier ins Bad und wasche sie“, erläutert Michaelis lakonisch und berichtet, dass diese Technik eigentlich aus einem „Mal-Unfall“ resultierte, den sie beheben wollte. Das Bild wusch sich allerdings nicht wie gewünscht aus, sondern entwickelte völlig unerwartete, zufällige Effekte: die grafischen, flächigen, „harten“ Formen lösen sich auf und werden durchscheinend.
Wenn man diese unterschiedlichen Ebenen wahrnimmt, die Prozesse des Überarbeitens, Löschens, Einfärbens und Überlagerns, dann zeigt Michaelis‘ Malerei Parallelen zum Einsatz digitaler Bildbearbeitungsprogramme wie Photoshop, bei denen ein Bild auf verschiedenen Ebenen angelegt wird. Das wird auch in ihrem von Kreisformen überlagerten, blauen Farbraum im Studio der KunstHalle deutlich: „Die Bleistiftzeichnung, auf der die Komposition basiert, lasse ich stehen. Sie bildet so etwas wie ein Gerüst, welches zwischen der Wandfarbe und der Farbschicht, die ich später auftrage, sichtbar vermittelt.
Durch die Überlagerung von Zeichnung und Farbschicht wird eine Bildraumstaffelung möglich. Die Bleistiftzeichnung thematisiert auch das explizit handgemachte, der Entstehungsprozess bleibt offen sichtbar und ablesbar – ansonsten wäre das für mich eher eine Designarbeit.“
Die Ausstellung in der KunstHalle bildet einen wichtigen Schritt in der Laufbahn einer Künstlerin, die in der Berliner Kunstszene eigentlich keine Unbekannte mehr ist. Michaelis hat zahlreiche Stipendien erhalten, in Projekträumen und Institutionen wie dem NBK ausgestellt. Sie hat mit kleinen Galerien kooperiert und an Sammler verkauft. Zugleich musste sie immer wieder als Krankenschwester arbeiten, um finanziell über die Runden zu kommen. Dass sie jetzt in der KunstHalle ausstellt ist einem Zufall zu verdanken: Als sie an einem Wintermorgen Kasimir in die Kita brachte, sah sie vor dem Schokoladen in der Ackerstraße etwas Oranges auf dem Schnee leuchten – den Flyer von „Macht Kunst“ mit der Aufforderung, sich zu beteiligen. Sie steckte ihn ein, dachte darüber nach, diskutierte mit anderen Künstlern. Als sie die Schlange der Wartenden sah, die sich von der KunstHalle bis zur Staatsoper am Bebelplatz zog, wäre sie fast nach Hause gegangen. Doch dann holte sie eine Freundin an einen der vorderen Plätze und Michaelis gehörte zu den ersten 345 Künstlern, deren Arbeit in der KunstHalle ausgestellt wurde.
Auch wenn es eine Verkettung von Zufällen war, die zu ihrer Teilnahme an der „Macht Kunst“- Ausstellung führte – den Preis der Jury verdankt Michaelis der Qualität ihrer Arbeit. Ebenso wie ihr Werk in Farbfeldmalerei und Hard Edge wurzelt, reflektiert es die Oberflächen und Ornamente des 21. Jahrhunderts, die von der abstrakten Formensprache der Moderne geprägt sind. Die Titel ihrer Bilder klingen wie literarische Kürzel, in denen sich ebenso gut hinduistische Gottheiten wie auch Namen von Ikea-Möbeln verbergen können: Dalatangi, Vembas, Unnar. Kasimir Malewitschs „Schwarzes Quadrat“ war das Tor, durch das die Moderne in das 20. Jahrhundert einzog. Der Siegeszug einer reinen, gegenstandslosen Kunst, die sich nur aus Form und Farbe konstruiert, sprach von der Sehnsucht nach Utopie, Transzendenz, nach etwas Absolutem. Seit den 1950er Jahren verbindet sich die abstrakte Formensprache auch mit massenhaft reproduziertem Dekor, das die globalen Märkte überschwemmt, Hausfassaden oder Büroetagen einen „modern“ designten Anstrich gibt. Rebecca Michaelis‘ Kunst schöpft undogmatisch aus beidem – den Utopien und dem Alltag. Wer genau hinsieht, kann hinter dem Dekor ihrer „Familiar Patterns“ in der Tiefe der Schichten etwas von den einstigen Utopien erahnen.